Im Porträt

Vom Sichten und Finden: Stefanie Pirkers kuratorische Praxis am FOTOHOF

24. Juli 2024

Stefanie Pirker, m53a

Die selbstständige Kunsthistorikerin Stefanie Pirker beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit Edith Tudor-Hart. Im FOTOHOF kuratierte sie eine Ausstellung mit von ihr neu entdeckten Werken der österreichisch-britischen Exilfotografin. Stefanie hat uns einen Einblick in ihre Arbeit gegeben:

Das Werk der österreichisch-britischen Exilfotografin Edith Tudor-Hart (*28. August 1908 in Wien, † 12. Mai 1973 in Brighton) begleitet mich nun schon das vierte Jahr. Mit der Ausstellung Edith Tudor-Hart. Ein klarer Blick in turbulenten Zeiten und einem bald dazu erscheinenden gleichnamigen Buch kann dieser umfangreiche Nachlass, der mich und mein tatkräftiges Team an Kolleg:innen am FOTOHOF intensivst beschäftigte, endlich der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Edith Tudor-Hart war eine zentrale Protagonistin der sozialdokumentarischen Fotografie in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Sie wies auf gesellschaftliche Missstände hin, behandelte Themen wie Armut, Integration und Frauenrechte und porträtierte die Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse. Als Bauhausstudentin und Montessori-Pädagogin zeugt ihr Werk zudem von avantgardistischen Elementen des Neuen Sehens, leistet einen enormen Beitrag zur Darstellung progressiver Erziehungsmethoden, des modernen Tanzes und moderner Architektur. Aus einer jüdischen Familie in Wien stammend und als überzeugte Kommunistin und alleinerziehende Mutter eines Sohnes mit besonderen Bedürfnissen, war ihr Lebensweg von politischer Verfolgung und persönlichen Schicksalsschlägen gezeichnet. Ihr leider nur noch fragmentarisch vorhandenes fotografisches Werk wurde erst nach ihrem Tod wiederentdeckt und war bisher über mehrere Orte verteilt.

Alte Fotoboxen

Als Ende 2018 der Nachlass des Fotografen und Kinematografen Wolf Suschitzky an das FOTOHOF>ARCHIV in Salzburg übergeben wurde, befanden sich darunter vier beschriftete Boxen mit ca. 1000 Negativen, die als Urheberin seine Schwester Edith Tudor-Hart auswiesen. Nach der Digitalisierung und Recherche des Materials wurde schnell klar, dass es sich hierbei um einen bisher unbekannten Teilnachlass ihres fotografischen Werkes handelte, welcher sich hauptsächlich mit britischen Erziehungseinrichtungen in den 1940er- und 50er-Jahren auseinandersetzte. Diese Arbeiten wurden vor drei Jahren  in einer ersten initiativen Ausstellung am FOTOHOF>ARCHIV gezeigt.

Darauf aufbauend entschied ich mich, eine Dissertation über das fotografische Werk Edith Tudor-Harts am Fachbereich Kunstgeschichte an der Paris-Lodron-Universität Salzburg und am Digital Media, Culture and Society Department der University of Brighton umzusetzen.

Ein durch die Universität Salzburg geförderter Rechercheaufenthalt ermöglichte es mir, in einschlägigen Archiven und Bibliotheken in Großbritannien zu forschen. Dabei lieferte nicht nur ihre fast 700 Seiten umfassende Geheimakte an den National Archives in Kew in London ein breiteres Bild über ihren Lebensweg, sondern auch durch die wochenlange Sichtung antiquarischer Magazine, konnten eine Fülle bisher unbekannter Publikationen in den Printmedien zugeschrieben und ihr Œuvre erweitert werden.

Transfer nach Salzburg

Der enge Kontakt mit Edith Tudor-Harts Erb:innen ermöglichte es zusätzlich ihr Scrapbook (ein Sammelalbum ihrer Publikationstätigkeit) und eine Fülle bisher unbekannter Vintage Prints zu sichten, welche in weiterer Folge ans FOTOHOF>ARCHIV übergeben wurden und nun zum ersten Mal öffentlich sichtbar sind. Auf Wunsch der Erbenden wurde der bisher an den National Galleries of Scotland verwahrte weitere Teil ihres Nachlasses nach Salzburg transferiert. In monatelanger Teamarbeit wurden schließlich digitale Kontaktkopien dieser ca. 8.500 Negative sowie hochauflösende Scans erstellt, bearbeitet und in unsere Datenbank übertragen. Mit der Zusammenführung dieser Konvolute konnte schließlich ein neuer, umfangreicher Überblick über ihr fotografisches Wirken erarbeitet werden. 

Die fertige Ausstellung

In der am FOTOHOF gezeigten Retrospektive werden unterschiedliche Schwerpunkte ihres Schaffens illustriert. Neben bekannteren bereits in Edinburgh, London und Wien ausgestellten Arbeiten, finden sich auch neue, bisher noch nicht gezeigte Fotografien an den Wänden, welche mit archivarischen Fundstücken und Sekundärmaterial wie etwa privaten Dokumenten, ihrer Originalkamera und ihren Vintage Prints abgerundet werden.

Im an die Haupträumlichkeiten angrenzenden FOTOHOF>STUDIO wird in verschiedenen Stationen ihre Biografie aufgearbeitet und ihr Nachleben und die dazu erschienene Literatur umrissen.

Die langjährige Arbeit an diesem so umfangreichen, äußert diversen Nachlass, hat mich neben Geduld und Durchhaltevermögen, auch Vergnügen am Prozess gelehrt. Es ist die Freude am steten Sichten und Finden, die dieses Projekt in solcher Form hat wachsen lassen und dem bestimmt in der Zukunft noch viel hinzugefügt werden wird.”

07. Juni bis 03. August

Edith Tudor-Hart. Ein klarer Blick in turbulenten Zeiten
FOTOHOF

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