Vom Echo räumlicher und zeitlicher Kontexte. Kooperation light?
09. August 2024
Doris Huber
Mirela Baciak ist Direktorin des Salzburger Kunstvereins und Kuratorin der aktuellen Ausstellung echo*. Die Duo-Show zeigt Werke von Sung Tieu sowie Martin Beck und stellt Fragen an Resonanzräume im Kontext institutioneller Strukturen.
Im Salzburger Kunstverein ist seit dem 13. Juli unter dem Titel echo* eine Ausstellung zweier unterschiedlicher künstlerischer Praktiken zu sehen. Der allerdings gemeinsame Fokus liegt hierbei auf hörbaren und gleichermaßen unhörbaren klanglichen Phänomenen. Mit den beiden Künstler:innen Sung Tieu (geb. 1987, Hai Duong, Vietnam) und Martin Beck (geb. 1963, Bludenz, Österreich) unternahm Mirela Baciak – die seit einem Jahr Direktorin des Kunstvereins ist – die Verschränkung von künstlerischen Positionen, welche sich kulturell und soziologisch aus erheblich abweichenden Quellen speisen. Der Versuch, trotzdem zu einer gemeinsamen Sprache zu finden, ist nicht erkennbar. Intendiert oder nicht erweisen sich die Werke in der Gegenüberstellung als so disparat, dass sie keinesfalls als das Ergebnis eines gemeinsamen künstlerischen Prozesses lesbar wären. Eher entsteht der Eindruck, es prallten zwei ganz unterschiedliche kulturelle Sozialisationen aufeinander, obgleich mit einem von gegenseitigem Respekt geprägten Willen, sich nicht zu sehr zu stören. Selbst das wohl in Absprache erstellte Sound Environment, das aus einem komplexen, technisch höchst aufwändigen Netzwerk von 28 Lautsprechern in der Ringgalerie des Kunstvereins besteht, ist von den beiden Protagonist:innen abwechselnd und somit autark erarbeitet worden.
Unschärfen einer künstlerischen Zusammenarbeit
Auf Nachfrage nach den Modalitäten der ‚Kooperation’ war von Martin Beck zu vernehmen, dass bei einer ersten (und einzigen) gemeinsamen Begehung des Ausstellungsraums zur Vorbereitung des Projekts ein übereinstimmendes Unbehagen bezüglich der vorgefundenen alten, fleckig-übermalten Steckdosen vorherrschte. Das wiederum führte zu einer tatsächlich in echter Kollaboration (auch zusammen mit den Verantwortlichen des Kunstvereins) ins Werk gesetzten Intervention zur Verschönerung des zentralen Ausstellungsraums, welche auch weiterhin erhalten bleiben wird. Von Beck wurde diese technisch-aktualisierende Maßnahme als “Herzstück der gemeinsamen Arbeit“ definiert und firmiert unter der Autorschaft beider Künstler:innen und dem Werktitel Untitled. Soweit zum sehr sparsamen Vollzug einer künstlerischen Kollaboration: Was aber mag trotzdem durch die Verschränkung dieser beiden weitgehend autonomen Positionen zu gewinnen sein?
Gegen die Vereindeutigung der Welt durch kuratorische Innovation
Ist im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Werken dieser Ausstellung etwa eine Initiative gegen die vielbeklagte Vereindeutigung der Welt zu erspüren? Als einigende Klammer für die Einzelwerke dient eine sensibel austarierte, sehr sparsam und lockere, ja fast minimalistische Anordnung im zentralen Ausstellungsraum, die viel Luft für die direkt körperliche Erfahrung der Werke durch das Publikum lässt. Gerahmt wird das Projekt räumlich und akustisch von dem wenig aufdringlichen bis kaum wahrnehmbaren Sound Environment, das durch die Wochentage alterniert wird. „Die gemeinsame Präsentation schafft einen Raum, in dem die Resonanz von Klang auf die Gediegenheit der institutionellen Struktur trifft und gleichzeitig zeitliche und räumliche Kontexte erforscht.“ In Mirela Baciaks Statement klingt ein selbstgewisser Grundton der Institution als Mitspielerin, Kollaborateurin und ebenso Widerpart der präsentierten Werke durch.
Genau das markiert die Essenz der Ausstellung. Museumsstrukturen und -praktiken werden künftig auch hier im Kunstverein kritisch reflektiert. Julia Wallisch bringt es in Sung Tieus Werk Newspapers 1969-ongoing auf den Punkt: „As the museum looks to the future, the tasks for artists, curators, and art workers alike will be to ask critical questions concerning museum structures and practices themselves: How can art be transported and exhibited sustainably? What constitutes an exhibition? What defines an artwork? And how can museums transcend traditional concepts of space and time to create more innovative and future-forward experiences?“ Als Teil eines Ensembles aus einem am Boden fest verschraubten Edelstahlhocker und einer darauf abgelegten Zeitung bietet das vierseitige Blatt eine Fülle textlicher Anhaltspunkte zu Tieus künstlerischen Anliegen und deutet auf eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Künstlerin und Kuratorin hin. Echte Kollaboration scheint hier verortet!
Die neue Stimme aus der geografischen Mitte Europas
In ihrem Werk New Directorship and Challenges for Salzburger Kunstverein nimmt Sung Tieu explizit Bezug auf die Kuratorin und öffnet quasi den imaginierbaren Raum einer dialogischen Konstellation wie er sich in der Gegenüberstellung mit Becks Werk nicht auftut. Mirela Baciak, 1987 in Warschau geboren, bereichert seit ihrer Übernahme der Direktion des Kunstvereins im Vorjahr mit ihrer Stimme aus der geografischen Mitte Europas das Salzburger Kulturgeschehen auf das Interessanteste. Nur wenigen Kulturschaffenden ist bewusst: Das eigentliche Zentrum Europas liegt bei 54°51‘ nördlicher Breite und 25°19‘ östlicher Länge und somit 26 Kilometer nördlich von Vilnius – also ein Stück weit östlich von Baciaks Geburtsort. In der ebenso resolut wie verbindlich sich zeigenden Direktorin hat sich Salzburg einen Trumpf gezogen. Noch mehr als in der laufenden Ausstellung zeigte sich das in der vorangegangenen. Kaum je zuvor hat eine Schau des Kunstvereins eine derart brisante und gesellschaftlich relevante Botschaft vermittelt wie jüngst The Myth of Normal. In dieser Gruppenausstellung handelten elf Künstler:innen in ihren Beiträgen die Parameter von gesellschaftlich sanktionierter und diffuse Erwartungen erfüllender ‚Normalität‘ und deren Abweichungen ab. Gespeist aus der Erfahrung vermeintlicher und/oder zugeschriebener Unzulänglichkeiten legten die Werke in verschiedenen visuellen und auditiven Medien Zeugnis davon ab, wie unhinterfragt der scheinbar gesellschaftliche Konsens im Sinne eines uniformierenden, kapitalistisch verwertbaren Normbegriffs wirksam ist.
echo* en detail
Für sich genommen entfalten die Arbeiten Martin Becks durchaus einen großen Reiz. Seine vier großformatigen, virtuos mit dickem Bleistift ausgeführten Zeichnungen dschungelartiger Blätterdickichte, bestechen durch eine quasi akustische Präsenz. Suggestiv lassen sich aller Art Klänge und Geräusche bei der Betrachtung imaginieren. Auch die Präsentation über 50 Jahre alter Plattencovers, deren Schallplatten psychoakustische Hilfsmittel zur Steigerung von Produktivität und Wohlbefinden beinhalteten, verkörpert konzeptionelle Qualitäten, die sich allerdings in der hier gezeigten Aufstellung nicht direkt erschließen. Sie bleiben erklärungsbedürftig. Alles wirkt routiniert und selbstgewiss.
Anders dagegen fordert Sung Tieu ihr Publikum direkt und nachvollziehbar zur Reflexion gesellschaftlicher und politischer Narrative heraus. Zwei auf unterschiedliche Zeitzonen eingestellte Digitaluhren spannen ein zeitlich und räumlich nicht näher definiertes Feld auf, in dem sich ein endloses Panorama politischer, gesellschaftlicher und historischer Variablen platzieren lässt. Der Autorschaft des Publikums wird ein immenser Raum eingeräumt. Ebenso lässt die bereits erwähnte Zeitung mit ihren leergelassenen Blöcken viel Freiraum für Hinzugedachtes. Besonders eindrücklich veranschaulichen Tieus drei wandmontierte, feststehende und unterschiedlich schwenkbare Edelstahlhocker die Möglichkeit von Perspektivwechseln je nach Sitzhöhe. Wie leicht kann ein, wenn auch nur kleiner, Ortswechsel zu einer anderen Sichtweise auf die Welt führen!


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