Review

Joseph Beuys – John Cage

25. September 2024
Doris Huber

Joseph Beuys – John Cage, Eyes that Listen, Ears that See, exhibition views, Thaddaeus Ropac Salzburg, 2024. © Joseph Beuys Estate / VG-Bildkunst, Bonn 2024. © John Cage Trust. Photo: Ulrich Ghezzi.

Eyes that Listen, Ears that See. Unter diesem surrealistisch anmutenden Titel ist in der Galerie Thaddaeus Ropac vom 30. Juli bis zum 28. September eine Ausstellung zu sehen, die sich der Gegenüberstellung von einigen bemerkenswerten und seltenen bzw. bisher nie gezeigten Werken John Cages und Joseph Beuys widmet

Im Fokus stehen Dokumente gegenseitiger Wertschätzung und der fotografische Nachweis einer tatsächlichen persönlichen Begegnung der beiden Künstler. Zum ersten Mal werden hier Belege eines kaum bekannten künstlerischen Dialogs verdienstvoll zusammengeführt, was von einigem neuen Erkenntniswert selbst für Expert:innen zum Werk der jeweiligen Künstler sein dürfte. Dafür hatte die Kuratorin Andrea Maurer eine aufwändige und sachkompetente Recherchearbeit zu leisten. 

Die Schau nahm sich vor, die „einzigartige Verbindung zwischen Joseph Beuys und John Cage, [sowie] […] ihren Dialog und ihre gegenseitige Inspiration [zu] beleuchten“. Es sollte nicht nur die gegenseitige Bewunderung der Künstler, sondern auch „die Parallelen in ihrem Denken“ deutlich gemacht werden. Diese Parallelen fand die Kuratorin zunächst vor allem in jener Intention der beiden Künstler, die darauf abzielte „die Grenzen ihrer jeweiligen Kunstgattungen zu erweitern“ und „das Bewusstsein der Menschen zu verändern und gesellschaftlichen Wandel anzustoßen“.

Forschungsarbeit im Kontext ökonomischer Interessen

Als Initialzündung für die Zusammenstellung der Werke und ihre Präsentation in der Galerie Ropac fungierte eine nicht datierte Partitur-Skizze (for a singer (1st piece)), welche John Cage Joseph Beuys 1981 zum Geburtstag widmete. Sie wurde dem Beuys-Nachlass-Galeristen Ropac von der Witwe des Künstlers zur Veröffentlichung anempfohlen. Aus dem Freundesumfeld von Cage (Robert Moran und Christian Wolff) ist der Autorin bekannt, dass solcherart autografische Skizzen von Cage im fortgeschrittenen Alter und im Wissen um deren Marktwert, öfter an Bekannte und Freund:innen vergeben wurden. Sollte diese Skizze also verkäuflich sein, wäre das sowohl für die Witwe Beuys als auch für den Galeristen von nicht geringem ökonomischem Interesse. Nun lässt sich aber ein solch singuläres Artefakt schwerlich isoliert präsentieren. Es ging also in der Folge wohl darum, das Stück in einer Präsentation würdig und plausibel zu rahmen. Andrea Maurer machte sich zur Aufgabe, der zunächst vermuteten künstlerischen Beziehung dieser beiden bestens beforschten Protagonisten der Kunst- und Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts auf den Grund zu gehen. Dahingehend war bisher kaum Vorarbeit geleistet worden. Man ist geneigt zu fragen, warum wohl? 

Schon 2012 brachte eine bahnbrechende Ausstellung im Museum der Moderne, anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers, dem Salzburger Publikum die künstlerische Vielseitigkeit von John Cage nahe. Der damalige Direktor Toni Stooss präsentierte auf der gesamten Fläche des Baus auf dem Mönchsberg in einer opulenten Schau Arbeiten auf Papier, medien- und klangkünstlerische Werke, Installationen, Notationen, Foto- und Filmdokumente des Komponisten, Musiker, Philosophen, Literaten und Denkers John Cage. Seine Werke bildender Kunst und sein immenser Einfluss auf die Kunst waren bis dahin, zumindest in Salzburg, noch weniger bekannt als seine Musik. Durch die Gegenüberstellungen von Cages eigenen Werken und denen seiner Vorbilder und Weggefährt:innen konnten wesentliche Einflüsse und Anregungen reflektiert werden. Ein Werk von Beuys war dort nicht unter den Exponaten!

Historiographische Konstruktion einer Freundschaft

Im Kontext der Ausstellung 2012, die zuvor auch in Berlin gezeigt worden war, erschien ein Essay-Band, in dem Detlef Stein mit seinem Beitrag erstmalig Cages Beziehung zu Joseph Beuys thematisierte. Stein brachte zur Veranschaulichung einer engen künstlerisch-geistigen Verbindung Topoi in Anschlag wie die Erweiterung des Kunstbegriffs, Veränderung des menschlichen Bewusstseins oder das Einwirken auf gesellschaftliche Prozesse durch künstlerisches Handeln. Damit sollte die gemeinsame Darstellung begründet und gerechtfertigt sein. Allerdings teilten Cage und Beuys diese Anliegen mit einer Vielzahl von Zeitgenoss:innen, speziell jenen, die sich im Kontext der FLUXUS-Bewegung künstlerisch betätigten. Stein räumte ein, dass „wohl eher [von] sporadischen Berührungspunkte[n]“ zwischen Cage und Beuys ausgegangen werden müsse, sie aber auf ähnliche Weise ihr jeweiliges Publikum herausforderten. Trotzdem skizzierte der Autor mit seinem Artikel explizit eine „Künstlerfreundschaft“, die, in welchem Sinne auch immer, so nicht bestanden hat! Als Quintessenz der übereinstimmenden Kennzeichen beider Künstler, die auch ihre jeweilige Wirkmacht auf den Fortgang der Kunstentwicklung hatten, identifizierte Stein das Verlassen und die Verweigerung traditioneller künstlerischer Spartengrenzen.

Andrea Maurer schürfte nun mit ihrer kuratorischen Arbeit schon wesentlich tiefer, konnte sie doch auch an konkreten Objekten die Stationen der gegenseitigen Bezugnahme zwischen Cage und Beuys anschaulich machen. Die Punkte, an denen die Umlaufbahnen der Künstlerplaneten Cage und Beuys aufeinandertrafen, sind schnell aufgelistet. Datiert auf 1959 belegt eine Zeichnung von Beuys, mit dem Titel Der Lehrer von John Cage eine erste Auseinandersetzung mit bzw. Kenntnisnahme des Komponisten. Im Umfeld der FLUXUS-Bewegung und vor allem um die Persönlichkeit von Nam June Paik kam es dann Anfang der 60er-Jahre zu Kontakten, die in einer ersten und wahrscheinlich einzigen persönlichen Begegnung der beiden Künstler gipfelte. Im Juli 1964 gab John Cage auf Einladung von Beuys ein Konzert in der Düsseldorfer Kunstakademie. Durch gründliche Recherchen der Kuratorin konnte die Datierung dieses, auf mehreren Fotos bezeugten Ereignisses richtiggestellt und belegt werden. 

In den frühen 80er-Jahren kam es dann vermehrt zwischen den Künstlern zur wechselseitigen Widmung kleiner Werke. Hierbei sollte die Idee eines intensivierten künstlerischen Austauschs relativiert werden. Selbst das über die große räumliche Entfernung gewissermaßen „gemeinsam“ geschaffene Werk Orwell-Blatt von 1984 ist eher nicht als wirkliches Produkt künstlerisch-kreativen Austauschs zu werten. Motive aus zwei völlig autonom entstandenen Werkgruppen wurden hier in einem Blatt druckgrafisch vereint. Die Homogenität der beiden Beiträge verblüfft, sollte aber nicht als Ausdruck einer direkten künstlerischen Kooperation missverstanden werden. Folgt man den jeweils eigenen Kontexten der Entstehung dieser individuellen Beiträge, lassen sich ganz unterschiedliche Genese-Modalitäten und Herangehensweisen ausmachen.

Cage und Beuys zusammengelesen, was ist der Gewinn?

Ein Alleinstellungsmerkmal dieser besonderen Beziehung ist nach wie vor nicht auszumachen. Das besondere Verdienst von Andrea Maurer lässt sich allerdings an der Spur erahnen, welche sie für künftige interpretatorische und kuratorische Arbeit gelegt hat. Zwei wichtige und essenzielle Intentionen beider Künstler, deren Nachhall bis in die Gegenwart reicht, hat sie formuliert: „Beide forcierten eine radikale Veränderung konventioneller Wahrnehmungsweisen“ und „das zentrale Anliegen beider Künstler […] [war] die Überwindung der Trennung zwischen Kunst und Leben“. 

Diese wundervolle kleine Ausstellung regt einmal mehr dazu an, sich mit den Werken dieser beiden Künstler intensiver auseinanderzusetzen und sich davon inspirieren zu lassen.

Literatur

Herzogenrath, Wulf, Barbara Nierhoff-Wielk (Hgg.): „John Cage und…“ Bildender Künstler – Einflüsse, Anregungen, Köln 2012. 

Stein, Detlef, John Cage und Joseph Beuys – „more than just a personal thing“, in: Herzogenrath, Wulf, Barbara Nierhof-Wielk (Hgg.): „John Cage und…“ Bildender Künstler – Einflüsse, Anregungen, Köln 2012, S. 164-175.

30. Juli bis 28. September

Joseph Beuys – John Cage. Eyes that Listen, Ears that See
Thaddaues Ropac
Villa Kast