Review

Nächster Halt: Sprachlosigkeit

06. Dezember 2024
Veronika Sattlecker

© Studio Fjeld

„Die Fahrkarten, bitte!” Da zuckt man kurz zusammen und versichert sich zum fünften Mal, ob man ein gültiges Ticket hat. Was, wenn dieses Gefühl der Unsicherheit die Alltagsrealität ist? Dieser Frage geht die aktuelle Ausstellung in der 5020 unter dem Titel „Fahren ohne Ticket" nach.

In den Zwischenräumen der Sprache zeigen zehn Künstler:innen, was es heißt, sich fremd zu fühlen und das Dazugehören jeden Tag neu verhandeln zu müssen. Die diversen Medialitäten lassen sich im Raumgefüge nicht auf die Schnelle erfassen, denn die Vielfalt aus visuellen und olfaktorischen Eindrücken sowie das Brechen mit Blickachsen verwehrt den Raumeindruck des Ensembles. Die einzelnen Positionen wollen sich zunächst nur schwer zu einer einheitlichen Ausstellung zusammenfügen – eine beabsichtigte Strategie?

2021 nimmt das Ausstellungs- und Rechercheprojekt in Berlin seinen Anfang. Dort untersucht das Kollektiv En-Comun (Marisa Maza, Moira Zoitl, Franziska Lesák) die Wechselwirkung von Sprache und Kulturalität und stellt jetzt in Salzburg mit zusätzlichen Künstler:innen im Programm aus. Wer hier einsteigt, darf am Eingang die achtseitige Zeitung nicht übersehen – gelernten 5020-Besuchenden ist diese natürlich bekannt. Denn sie ist quasi der Fahrplan für die Ausstellung und wer den vergisst, kann sich zwischen den Werken etwas verloren fühlen. Im A3-Format ist zusammengefasst, was alle Arbeiten gemeinsam haben – sie erforschen Machtstrukturen, die durch Sprache gebildet werden. Kritisch reflektieren sie dabei koloniale Narrative sowie Effekte von Alltagsrassismus und thematisieren migrantische Kommunikationsstrategien.

Still aus dem 11-minütigen HD-Video Visited by a Tiger (2019) von Anike Joyce Sadiq, basierend auf einem Gespräch mit Dr. Phil. Lula Morton Drewes. © Studio Fjeld

Erster Halt: ein dunkler Kasten, aus dem die Stimme von Anike Joyce Sadiq dringt. Hinter dem schwarzen Vorhang wird im Hochformat Visited by a Tiger (2019) gezeigt. Auf dem Screen ‚performt’ ein Paar Hände die soziale Anspannung, die die Künstlerin in alltäglichen Diskriminierungsmomenten erlebt. Der Ausgangspunkt ist die Faust als Modell für das menschliche Gehirn und als Symbol für Widerstand und Solidarität. Dazu läuft eine Audiospur: Die Psychologin Lula Morton Drewes spricht über den psychischen Stress, den Rassismus auslöst. Die Auswirkungen entsprechen etwa jenen einer Tigerattacke – und auch im weiteren Sinn fallen die aus einer Gesellschaft Ausgeschlossenen dem metaphorischen Raubtier immer zuerst zum Opfer. Die Positionierung des Nicht-Dazugehörens wird von der Sprache bedingt. Diese stete Reibung zwischen Wortwahl und kultureller Zugehörigkeit macht das Video am Körperteil Hand deutlich. Bild und Ton treten hier in einen Dialog, der die körpergebundene Erfahrung und die politische Dimension des Sprechens aufzeigt.

Das kennt man schon aus G.B. Shaws My Fair Lady, wo Eliza Doolittles Dialekt erst geschliffen und poliert werden muss, bevor sie am Diskurs der Oberschicht teilnehmen darf. Ihre widerwillige, bezeichnende Stimme hört man zu Beginn der Videoinstallation von Moira Zoitl (2021) im Londoner Cockney. Zu den Ausspracheübungen schwimmt eine stumme Seekuh durch trübes Wasser und ein einzelnes Boot bahnt sich den Weg durch tropisches Dickicht. Die Künstlerin deckt westliche Exotismen auf und macht die Beobachtenden selbst zu Fremden, indem sie die Mechanismen des Sprachelernens bei Kindern aufzeigt. Als Eintrittskarte in eine bestimmte soziale Gruppe muss Buchstabe für Buchstabe abgearbeitet werden – von Aleph und Beth bis Zajin. Im Video nutzt Zoitl das phönizische Alphabet, das als Grundlage für viele weitere Buchstabensysteme gilt, als kapitelgebendes Element und als verbindende Komponente verschiedenster Sprachen.

Eine ähnliche Tonalität schwingt im Teppich-Labyrinth von Marisa Maza mit, auch wenn hier akustisch nichts zu hören ist. In der Mitte des Raums schweben Patchworks an Nylonfäden in verschiedener Länge von der Decke. Auf die gemusterten Stoffe hat die Künstlerin Serigrafien appliziert – schwarz-weiß fotografierte Rückenansichten verschiedener Personen: Eine junge Frau mit Kind auf dem Arm, eine Dame mit Einkaufstrolley sowie eine Person in gefranster Lederjacke sind die stummen Protagonist:innen. Time of Choose Who Speaks! (2021) übersetzt den nonverbalen Austausch unter Frauen in eine Installation, die bestärkend Raum einnimmt und die Besuchenden durch die weichen Wände taumeln lässt. Kurze Texte begleiten die Porträtierten: „Nunca mas, ni una menos”, „Power Talking: Gestalte den Raum” oder „Verschweige nicht! Dein Körper hat eine Geschichte”. Die gedruckten Sprachstreifen am Rand der Teppiche dienen als Sprachrohr dieser Stimmlosen, sodass sie plötzlich gemeinsam laut dastehen und zum feministisch-aktivistischen Kollektiv werden. Diese Machtumkehr fordern auch Lisl Pongers Demonstrierende. Eine Reihe von Menschen mit Latex-Tiermasken und Pappkartons reihen sich auf dem analogen C-Print oder kuscheln sich in goldene Rettungsdecken. Ponger weitet die Position des Nicht-Dazugehörens auf Mensch und Tier aus und hinterfragt so, wer in unserer Gesellschaft zu Wort kommt. Wenn Kakadu, Schildkröte und Nashorn in Theater of War: What a Mess We Made (2022) protestieren, welchen Sprechchor gackern sie dann?

Als die Tiere den Wald verließen … gingen sie bei Lisl Ponger protestieren. Theatre of War: What a Mess We Made (2022), analoger C-Print, Latex Masken, Rettungsdecke. Courtesy: Charim Galerie, Wien. © Studio Fjeld

Die Prämisse der Ausstellung – das unbehagliche Gefühl beim Fahren ohne Ticket – lässt sich am Ende viel eher nachspüren als in Worte fassen. Hätte es auf dieser Fahrt durchs Stimmengewirr also jemanden gebraucht, der neben einem Platz nimmt und den Ausblick aus der etwas verschmierten Scheibe genau erklärt? Oder ist es genau dieses Alleine-Dastehen, das etwas orientierungslose Schlendern von Werk zu Werk, die beklemmende Konfrontation, die man als Besucher:in der Ausstellung verspüren soll, um selbst in die soziale Situation des Außen-vor-Seins gebracht zu werden? Was auf jeden Fall klar zurückbleibt, ist das kratzig-beklemmende Gefühl im Rachen beim Verlassen der Ausstellung – der Geruch nach verbranntem Kautschuk von Sajan Manis Installation, der sich am Gaumen ablegt und Besuchende selbst ein Stück weit sprachlos werden lässt.

Sajan Manis Installation MalyalaShareeram [Malayalam as the Body] (2021) aus performativer Zeichnung, Archivmaterialien und Serigrafien auf Naturkautschuk. © Studio Fjeld
13. Oktober bis 20. Dezember 2024

Fahren ohne Ticket – In den Zwischenräumen der Sprache
Gruppenausstellung mit Maria Anwander, Ricarda Denzer, Happy Akegbeleye/Petja Dimitrova, Omar Kasmani, Sajan Mani, Marisa Maza, Lisl Ponger, Anike Joyce Sadiq und Moira Zoitl