Review

Beate Ronachers Reigen im Kunstraum pro arte – Tanzen mit dem kunsthistorischen Kanon feministischer Positionen 

15. Oktober 2024
Veronika Sattlecker

Ausstellungsansicht Beate Ronacher, Reigen © Lukas Gwechenberger

Der kunstraum pro arte zeigt Werke von Beate Ronacher unter dem Titel Reigen. Im flotten Takt performt die Künstlerin auf Papier, mit Pappaufstellern, im Video und in Seilen hängend. Dabei befragt sie Kunstinstitutionen sowie Frauenrollen und reicht kunstgeschichtlichen Größen die Hand

Die Werkschau der 1979 geborenen Halleiner Künstlerin Beate Ronacher ist eine von jährlich fünf programmierten Ausstellungen im kunstraum pro arte. Wie im titelgebenden Reihentanz schreitet Ronacher dabei verschiedene Tanzpartner:innen ab: die Themen Frau, Arbeit und Tradition. Bereits der österreichische Autor Arthur Schnitzler arrangierte den Dialog zwischen den Paaren seines Dramas anhand der Struktur eines Reigens. Im gleichnamigen Bühnenstück behandelt er in zehn Dialogen die Interaktion zwischen Frau und Mann, vor und nach dem Geschlechtsverkehr, bei dem immer eine Figur an der Hand der nächsten in die darauffolgende Szene tanzt. Bei Ronacher fungieren die drei Ausstellungsräume in Hallein als Kreisreigen und ihre Installationen sowie digitalen Collagen als Tänzer:innen mit feministisch-institutionskritischer Haltung. Ein Werk gibt hier dem nächsten die Hand und leitet die Besuchenden so in einer Drehbewegung durch die Galerie.

Bitte Liegeposition einnehmen

Ronacher hat ihre künstlerische Arbeit mit der Fotografie gestartet; jetzt kehrt sie im Kreisschluss mit der Performance als Fotomontage ein Stück weit zu dieser Praxis zurück. Im ersten Ausstellungsraum reiht sie 27 kleine C-Prints auf Augenhöhe. Wer die Wände im Uhrzeigersinn abgeht, scrollt so mit seinen Schritten durch ein gerahmtes Social-Media-Feed. Auf den eng gehängten Fotos gibt es Symbole, die anzeigen, dass hier jemand ‘getaggt’ oder der Sound stumm gestellt wurde. Die Fotos zeigen Ausschnitte aus Kunstmessen, Fassaden von Museen und Kunsthallen. Erst auf den zweiten Blick geben sich die Fotoserien mit Titeln wie Assuming a Position oder Will Work for Food als collagierte Liegeperformances Ronachers zu erkennen. Die Künstlerin nimmt hier physische Räume digital ein. Unter einer Leiter liegend oder auf dem Liegestuhl vor der Art Basel schneidet sie ihre Porträts in Bilder aus dem Social Web.

Als Reisende startete Ronacher ihre Performances auf Kunstmessen, wo sie sich für mehrere Minuten – mal mit Koffer, mal ohne – vor die Tür legte. Nach einem Unfall während einer Live-Performance, und aufgrund des eingeschränkten Radius ihrer Aktionen, stieg sie auf performance-nachahmende Bildmanipulationen um. Mit institutionskritischem Humor photoshoppt sie sich nun als liegende Figur in Orte hinein, zu denen sie sonst keinen Zugang hätte: Settings wie die Eröffnungsrede der documenta, Podiumsdiskussionen auf der Frieze Los Angeles oder die Hauptbühne der Biennale di Venezia: Ronacher spielt mit der Problematik der Dokumentation im Kontext von Performances.

Mit wem tanzen?

In digitalen Collagen nimmt sie am künstlerischen Reigen der Kunstmessen teil. Diese kleinformatigen Reihen laufen links und rechts der Wand auf ein Triptychon zu. Drei C-Prints auf Baumwolle, jeweils etwa 80 × 120 cm groß, bilden eine Serie, die in Format und Motiv sakral anmutet; nicht zuletzt durch das leicht transparente Trägermaterial der Porträts. Das zentrale Bild, Frau mit Staubsauger (nach Export) [VALIE EXPORT wird in Ronachers Titel nicht in Versalien geschrieben], zeigt Ronacher in der Halbnahen, das gelbe Haushaltsgerät mit besitzergreifender Miene an ihre Brust drückend. Sie bedient sich so nicht nur an dem Kanon feministischer Kunst, sondern re-inszeniert Fragen um Hausarbeit und Weiblichkeit im Rückgriff auf die Madonnendarstellungen des 16. Jahrhunderts. 

Die feministische Referenz führt sie im linken ‘Altarflügel’ fort. In der Collage Portrait with Chicken (2024) sitzt sie lässig mit gespreizten Beinen in rein-weißem Shirt und Leggings mit zwei panierten Schnitzeln auf den Brüsten einem Armlehnstuhl. Bereits 1996 posierte die britische Künstlerin Sarah Lucas mit zwei Spiegeleiern an gleicher Stelle und präsentiert sich entgegen klassisch-femininer Zuschreibungen. In der Collage Chopper with Rose Bay (2024) im rechten Baumwoll-Print des Triptychons fräst sich Ronacher ihren Weg durch ein Dickicht an rosigen, kunsthistorischen Assoziationen von Gottesmutter und Frauenideal.

Künstlerische Handlungsräume (er)wischen

Motive von Tradition und Religiosität reihen sich auch im dritten Ausstellungsraum in den Werkreigen ein. Die zentrale Installation aus zwei Paletten und Flachsgarben verknüpft erneut die Themenfelder Arbeit und Kunst im Material als Rohstoff zur Leinwandproduktion. Ronachers Garben erinnern aber zugleich an apokalyptische Kornfelder, die sowohl mit ihrem erdig-warmen Geruch als auch ihrem dürren Braun einen Großteil des Raums einnehmen. Dahinter sitzt die Künstlerin selbst zusammengekauert an der Wand. Ein kurzes Zusammenzucken, Augenzwinkern, Kopfschütteln ergibt: Es ist nicht die Künstlerin, sondern ein lebensgroßer Pappaufsteller, der Ronacher im weißen Imkeranzug zeigt; ein Kleidungsstück, das in diesem Kontext die unheimlich-dystopische Atmosphäre verstärkt.

Der Karton in Menschenform innerhalb des Ausstellungsraums stellt eindeutig konzeptionelle Bezüge zu den Collagen an den Wänden her. Auch hier schneidet sich Ronacher zweidimensional in den Raum und mimt Performances. Diese Augentäuschung versucht eine strenge Trennlinie zwischen Installation und Performance obsolet zu machen und erinnert gleichzeitig an eine hyperrealistische Arbeit von Duane Hanson: Putzfrau (1972). Die Skulptur sitzt in der Staatsgalerie Stuttgart am Boden, den Blick nach unten gerichtet, die Stirn unter dem kurzen grauen Haar gerunzelt. Die Präsenz im gemusterten Hausmantel soll irritieren. Die linke Hand am Boden abstützend, taucht Hansons Skulptur ihren Putzlappen mit der Rechten in einen gelben Eimer.

Genau hier, vor der Arbeit Cleaning Devices (2024) endet Ronachers Reigen. Bei ihr sind es ein gelber Putzwagen samt Wischmopp, die das letzte Tanzpaar der Ausstellung bilden. Bei der Eröffnung performte die Künstlerin im Klettergurt sitzend mit Wischmopp und Reinigungswagen. Am Seil von der Decke hängend, sich drehend und kreisend, zog der Wischmopp in der Hand der Künstlerin scheinbar unkontrolliert, gleich gestischer Malerei seine feuchten Spuren über den Boden des Ausstellungsraums. Der Klettergurt erinnert mehr an die Fensterputzer der New Yorker Wolkenkratzer, die eine distanzierte Perspektive auf das Geschehen unter sich einnehmen, als an den Typus der bodenschrubbenden Putzfrau. Einerseits emanzipiert Ronacher somit das Verhältnis der Frau zur hauswirtschaftlichen Arbeit, andererseits die Performance zur Installation, denn nach der Eröffnung verbleiben die bloßen Werkzeuge ohne Künstlerin im Raum. Weiter stellt Ronacher die Frage, ob Kunst Arbeit sei, indem ihr Wischmopp den Künstlerpinsel zitiert. Als Referenz nennt sie dabei die amerikanische Performancekünstlerin Carolee Schneemann, die nackt, in einem Klettergurt hängend, um 1973 einen weißen Kubus bemalte. Einen solchen eingeschränkten Handlungsraum formen Institutionen für Künstlerinnen. Und auch beim Reigentanz wird den einzelnen Akteur:innen ein bestimmter Platz und eine Schrittfolge zugewiesen. Die Kunst ist es, daraus auszubrechen.

Literatur

Crasemann, Leena und Matthias Weiß: „Re-Inszenierte Fotografie? Eine Einführung“. In: Re-Inszenierte Fotografie. Hrsg. Krüger, Crasemann, Weiß. München: Wilhelm Fink, 2011. S. 9–28.

19. Oktober, 11 Uhr

Finissage
Beate Ronacher, Reigen
Kunsraum pro arte
Hallein