Gemeinschaftliche Versuche künstlerischer Verdichtung – Studierende des Mozarteums im Salzburger Kunstverein
24. November 2024
m53a
Mit Arbeiten von Leonie Lindinger, Vanessa Veljkovic, Melina Harting, Anna* Marina Ernst, Sophia Kraus, Mirjam Kämmerer
In der Ausstellung currently considering. rage, work, adhd, non binary, things on window ledges, the odd similarity between bypassing strangers and animals begegnen sich junge Künstler:innen an der Schnittstelle von persönlichem Ausdruck und gemeinsamer Reflexion. Jeder im Titel benannte Begriff lässt sich dabei einer künstlerischen Position zuordnen. Das Projekt, getragen vom lebhaften Austausch zwischen den sechs Studierenden des Mozarteums, stellt im Salzburger Kunstverein Prozesse des Hinterfragens, Diskutierens und der steten Neuverhandlung künstlerischen Ausdrucks in den Mittelpunkt. Über Bildhauerei, Fotografie, Grafik, Installation, Malerei und Performance geben die Arbeiten einen Einblick in das kreative Forschen und Experimentieren der Student:innen. Hier werden künstlerische Impulse sichtbar, die sich in der gemeinschaftlich erarbeiteten Präsentation mit je persönlichen Formen bildnerischer Ideen auseinandersetzen. In einem Interview vor der Eröffnung der Ausstellung erfährt das magazin53a mehr über den gemeinsamen Schaffensprozess und die persönlichen Auseinandersetzungen mit zentralen Themen, die über Atelier- und Ausstellungsräume hinauswirken.
Kommunikation als Chance und Schwierigkeit
Lange schon gibt es eine kleine informelle Tradition, die jährlich Studierenden des Department Bildende Künste und Gestaltung des Mozarteums ermöglicht, eine Ausstellung kurzer Dauer im Salzburger Kunstverein zu konzipieren. Ziel ist es, aus jeder der vier Klassen (Fotografie, Malerei, Bildhauerei, Grafik) mindestens zwei Personen für die jährliche Ausstellung auszuwählen, die über den pädagogischen Gehalt ihres Studiums hinaus – oder gar in Abgrenzung dazu – bestrebt sind, künstlerisch tätig zu sein, und diesen das Erproben ihrer eigenen Präsentationsformen zu ermöglichen.
Die Konstellation der Kunstschaffenden ergibt sich durch die Nominierungen durch ihre Lehrenden, wodurch eine Gruppe zusammengewürfelt wird, die sich unter anderen Umständen vielleicht nie gefunden hätte. Durch die gewisse Zufälligkeit und äußere Bestimmung der Personenzusammenstellung stehen die Studierenden vor der Herausforderung, ein Gleichgewicht sowohl im Zwischenmenschlichen als auch in ihren Arbeiten zu finden. Dadurch ergibt sich eine Gruppendynamik, die Chancen aber selbstverständlich auch Schwierigkeiten entstehen lässt – angefangen bei Entscheidungen der gerechten Stimmenverteilung sowie Aspekten der Gewichtungen im Raum. „Es geht viel um’s Reden. In unserer Konstellation sprechen wir überdurchschnittlich viel miteinander und haben uns auch oft getroffen. Im Gespräch über unsere Arbeiten wurde uns immer wieder deutlich, wie bereichernd der Diskurs ist”, erzählt die Gruppe dem m53a. In diesem Jahr sind alle aus dem neunten Semester und verfügen über ähnliche Erfahrungswerte – das ist eher eine Ausnahme als die Regel.
Durch die Klassenstruktur am Department für Bildende Künste und Gestaltung mag sich formal eine Unterscheidung zwischen einzelnen Praktiken ergeben, die aber im tatsächlichen Alltag der Studierenden gar keine so große Rolle spielt: „Durch das Klassenaufteilung fühlen wir uns ganz und gar nicht eingeschränkt, man kann auch mitten im Studium einfach mal wechseln und woanders hingehen.” In der Realität bleiben viele aber dann doch in der Klasse, in der sie angefangen haben. „Das lässt sich ganz simpel auf das soziale Netz zurückführen”, sagt Leonie Lindinger. „Da geht es um die Menschen, die mich und meine Arbeit kennen und bei denen ich mich wohlfühle.” Anna* Marina Ernst fügt hinzu, dass man immer auch befähigt sei, sich einen eigenen Safe Space schaffen zu können.
currently considering – und darüber hinaus?
Die jetzige Ausstellung wird „minimal invasiv” durch Agnes Scherer begleitet. Dabei ist Scherer in erster Linie eher als Redepartnerin und Adjutantin involviert – die Konzeption und Umsetzung der Ausstellung liegt bei den Künstler:innen allein. Darunter eingeschlossen: das Wagnis einer Zusammenarbeit zwischen jungen Kunstschaffenden, die auf den ersten Blick medial sowie inhaltlich verschiedenste Herangehensweisen, persönliche Hintergründe und Themen bedienen. „Ein paar wussten schon vor Planungsbeginn genau, was sie zeigen wollten, hingegen hatten andere noch nichts produziert beziehungsweise noch keine Richtung für ihr eigenes Werk. Wir hatten es mit verschiedenen Ausgangssituationen zu tun”, erklären die Studierenden. Der verständnisvolle Umgang mit dem Sichtbarwerden auch uneigener Reflexionsprozesse steht am Anfang der gemeinschaftlichen Erkundung dieser individuell-künstlerischen Untersuchung. Für die Künstler:innen ist das Verständnis vom Kunstwerk als Moment der Verdichtung und Verkörperung eines eigentlich länger anhaltenden und auch über die räumliche Materialisierung hinaus bestehenden, sich fortsetzenden Prozesses zentral.
Der Titel benennt diese Prozesse in Begriffen wie non binary, adhd oder rage. Leonie Lindinger beschreibt, wie es ihnen bei der Titelfindung ergangen ist: „Als wir zu Beginn intensiv über den Titel nachgedacht haben, ist uns aufgefallen, dass es das ‚Gemeinsame’ noch gar nicht so richtig gibt. Als Ausgangssituation hatten wir die ganz pragmatische Begebenheit des Aufstellungsorts und der Ausstellungszeit, womit wir dann auch anfingen zu arbeiten. Besonders Agnes Scherer sei wichtig für die Titelfindung gewesen: „Zunächst hatten wir nur currently considering, jedoch hat Agnes dann vorgeschlagen, die verschiedenen Schlagwörter mit hinein zu nehmen. Dadurch hat alles an Tiefe gewonnen”, so die Studierenden.
Das Gemeinsame verbindet selbstredend, kann aber auch zur Zurschaustellung deutlicher Differenzen führen. Inwieweit die immer zutiefst persönlichen Arbeiten auch unterschiedliche qualitative Niveaus zu erkennen geben, bleibt abzuwarten. Die zunächst freie Zusammenstellung junger Künstler:innen muss natürlich gebunden werden, um eine Schau bieten zu können, die auch in ihrer Gesamtheit funktioniert und sich nicht in der willkürlichen Abfolge künstlerischer Egos verliert. Als im Prozess begriffene Kunst, die sich als Suche versteht, sind die Arbeiten Gleichungen, welche es auch über die Ausstellung hinaus erst noch zu lösen gilt – als beständig erweist sich im Gespräch aber immer auch eine Selbstbestimmtheit, die das Wankelmütige, das Vorübergehende und das Prozessuale als deutliche Chance begreift. Die Prämisse junger, verhältnismäßig unerfahrener Positionen im Umgang mit institutionellen Kontexten bildet den Reiz der Kooperation zwischen dem Kunstverein und dem Mozarteum und macht neugierig auf das finale Resultat.
Rage – Leonie Lindinger, Klasse Malerei
“Ich habe das Gefühl, dass ich sehr selten Wut empfinde und auch sehe, dass es vielen anderen weiblichen Personen in unserer Gesellschaft ähnlich geht. Dann bin ich auf den Arachne-Mythos gestoßen [bei der mythologischen Figur handelt es sich um eine Weberin, die sich mit der Göttin der Handarbeit, Athene, in einen Web-Wettstreit begibt; Anm. d. Red.], der die Grundlage für meine Assoziation der Handarbeit als Metapher für den Zustand des Aushaltens bildet.”
Work – Vanessa Veljkovic, Klasse Grafik
“Ich beschäftige mich mit Produktionsarbeit und Tätigkeiten in dem Bereich von Fabriken und Industrieräumen. Auf Grundlage von Fotografien oder tatsächlichen Baubegehungen entwickle ich die Motive von Funktionshallen weiter.”
Adhd – Melina Harting, Klasse Bildhauerei
“Adhs ist immer eine Reaktion auf die Umgebung – es kommen viele Reize von außen, die sich dann in meinem Gehirn so anfühlen, als würden sie miteinander verschwimmen. Manchmal verdichtet sich das, manchmal löst es sich dann wieder auf, bildet Formen und Strukturen. Filz habe ich neu für mich entdeckt und finde Halt in dem Akt des Pieksen mit der Nadel in den Stoff.”
Non binary – Anna* Marina Ernst, Klasse Fotografie
“Ich habe das Gefühl, dass sich viel in meiner künstlerischen Arbeit aufeinander aufbaut und sich dann weiterentwickelt . Es ist keine wirkliche Serie, jedoch geht es immer wieder über vom einen ins andere. Ich arbeite zum ersten Mal mit Sound, der dann durch Kopfhörer im Raum zu hören ist – das Technische ist noch nicht ganz geklärt.”
Things on window ledges – Sophia Kraus, Klasse Fotografie
“Ich beschäftige mich mit Fensterbänken und Gegenständen, die dort hinterlassen werden. Es ist ein dokumentarisch-anthropologischer Zugang. Für mich sind Fensterbänke eine Zwischenwelt des Öffentlichen und Privaten. Ich werde sie im Kunstverein nach Seriengedanke im Raster neben- und übereinander aufhängen.”
Odd similarity between bypassing strangers and animals – Mirjam Kämmerer, Klasse Malerei
“Als Grundlage für meine Arbeit dienen Fotos, die ich von meinem Fenster aus geschossen habe, die Passant:innen auf der Straße abbilden. Solch ein ähnlich voyeuristischer Blick erinnerte mich an einen Zoobesuch. Ich habe festgestellt, dass die vorbeigehenden Menschen tatsächliche Ähnlichkeiten zu besagten Zootieren haben.”
Vernissage 27. November, 18 Uhr
currently considering. rage, work, adhd, non binary, things on window ledges, the odd similarity between bypassing strangers and animals
Studierende des Department Bildende Künste und Gestaltung des Mozarteums im Salzburger Kunstverein