Puppen-Politik und Pappmaché. Agnes Scherer über Material und Macht
11. Juni 2025
m53a
Mit scharfem Blick und subversivem Witz inszeniert Agnes Scherer gesellschaftliche Machtverhältnisse als theatrale Bildwelten
Ihre Installationen verbinden Malerei, Skulptur und Erzählungen zu raumgreifenden Szenarien voller historischer Anspielungen und gegenwärtiger Brüche. Zwischen Papierfiguren, Pop-up-Büchern und Pappmaché-Gebilden stellt Scherer Fragen nach Autorität, Körper, Material – und den sichtbaren wie unsichtbaren Fäden, an denen alles hängt.
m53a: Wie viel Theater steckt in deiner Kunst?
Agnes Scherer: Ich greife – mehr oder weniger direkt – auf das Puppenspiel zurück. Eigentlich weniger aus Nostalgie, wie man vielleicht denken könnte, sondern, weil sich das Puppenspiel als Denkfigur gut eignet, über Ungleichheit, Entfremdung und Kontrolle, Freiheit und Determinismus zu reflektieren. Weil immer jemand zieht und jemand gezogen wird. Weil auch die Puppenspieler:innen sich wiederum als fremdgesteuert erweisen könnten. Als Metapher lässt sich das Puppenspiel zu einem System erweitern, das es zulässt, der Komplexität gegenwärtiger Verhältnisse möglichst gerecht zu werden. Wenn man sich die Kunstgeschichte im „Spätkapitalismus“ anschaut, kann man beobachten, wie der Rückgriff auf diese Metapher zunimmt. Da wären zu nennen: Charlie Kaufman, Janet Cardiff und George Bures Miller, Wael Shawky, Anna Boghiguian, Jordan Wolfson. Ich bin nicht allein. Wichtig ist: Was mich hier am meisten interessiert, ist eher ein Gedanke als eine Kunstform. Man braucht keine eigentlichen Puppen, um aus diesem Gedanken heraus zu arbeiten.
m53a: Du bist keine typische „Atelierkünstlerin“, sondern mietest bei Bedarf Werkstätten an – wie beeinflusst das deine tägliche Arbeit?
Agnes Scherer: Ich habe einfach kein so großes Interesse an dieser räumlichen Trennung. Ich bin grundsätzlich immer gern künstlerisch tätig, also sind auch meine Wohnungen als Ateliers eingerichtet. Alles muss vorhanden sein. Ein separates Atelier, zu dem ich dann z.B. erst mit einem Bus hinfahren muss, miete ich nur an, wenn ich etwas sehr Großes baue oder mit sehr staubigen Technik arbeite.
m53a: Auf einem Porträt von Eva-Maria Schitter trägst du in deiner Wohnung Schlittschuhe, die auch motivisch in der Serie The Notebook Simulations (2021) auftauchen. Erzähl uns etwas darüber.
Agnes Scherer: Das Foto ist ein Kommentar zum zeitgenössischen Künstler:innenporträt als solchem. Weil Künstler:innen, beispielsweise im Unterschied zu Literat:innen, so häufig mit ihrem ganzen Körper abgebildet werden. In der Regel im Atelier, vor einer ihrer Arbeiten. Aber sie werden dort wie Athletinnen gezeigt. Oft wird viel vom Körper preisgegeben, meistens betonen High Performance Schuhe den athletischen Aspekt. Mein Foto als Eiskunstläuferin treibt also nur den Standard auf die Spitze.
m53a: In deinen Ausstellungen reflektierst du etablierte Narrative und verweist auf historische Begebenheiten. Wie aktuell ist ein Ritterturnier?
Agnes Scherer: Du fragst nach der Installation Savoir Vivre (2023). Ein Ritterturnier gewann nicht der, der den anderen aus dem Sattel gehoben hat, sondern, wer am Ende des Tages die meisten Lanzen zerbrochen hatte. Oft haben Männer sich damit gerühmt, an nur einem Tag „einen ganzen Wald“ zerbrochen zu haben. Maskulinität wurde am Ausmaß des Umweltverbrauchs gemessen. Hierin lag für mich eine bemerkenswerte Parallele zur Gegenwart, die ich herausarbeiten wollte. Deswegen haben die Ritter Kettensägen auf ihren Schilden und deswegen ist Teil der Installation ein großes Wandgemälde, das die Lanzenherstellung zeigt, von der Entwaldung einiger Hügel über das Flößen der Baumstämme bis zu einem Platz, wo das Holz lanzenförmig angespitzt und bemalt wird. Dort begutachten zwei Käufer, die aus der Gegenwart kommen, die Produktion. Sie sind aus einem Tesla ausgestiegen. Ich zeige hier bewusst ein Elektroauto, weil es trotz grüner Versprechen ebenfalls auf problematische Ressourcen angewiesen ist. Es bleibt damit im Rahmen dessen, was die Politikwissenschaftlerin Cara Daggett als „Petromaskulinität“[1] bezeichnet. Eine Denkweise, die Männlichkeit letztlich über Weltverbrauch definiert. Ich wollte mit meiner Installation zeigen, wie weit diese Denkweise eigentlich zurückreicht. Das war 2023, als noch nicht absehbar war, dass zwei Jahre später der Tesla-Chef tatsächlich – als Regierungsmitglied – mit einer Kettensäge auf der Bühne stehen würde.
m53a: In deinem Werk begegnen uns Marionetten und lebensgroße Aufsteller aus Papier und Karton: Alles Materialien, die häufig fragil und temporär wirken und nicht länger materiell beständig sind, wie beispielsweise in Bronze gegossene Reiterstandbilder. Wie wichtig ist dir dieser materielle Aspekt der Zeitlichkeit und die damit zusammenhängenden Möglichkeiten des Vergehens?
Agnes Scherer: Ich arbeite insgesamt gern mit niederschwelligen Materialien oder Herstellungsweisen, die nicht exklusiv wirken und vermeide eher Materialien mit Ewigkeitsanspruch. Dass Materialien wie Papier oder Gipsbinden zum Teil nachhaltiger sind, freut mich, und der Vergänglichkeitsaspekt stört mich zumindest nicht. Aber primär geht es mir dabei um etwas anderes, nämlich darum, dass der Zauber des Sujets, der Erzählung oder auch der Komposition nicht von Materialwertigkeiten gestört werden. Kostbare Materialien spielen sich in den Vordergrund, können einschüchtern, selbst zum Inhalt werden. Ich möchte unbedingt vermeiden, dass Leute in den Raum kommen und sich als Erstes fragen, was das alles wohl gekostet hat.
m53a: Eine betriebsbereite Guillotine, eine starre Hochzeitsprozession und ein blutsaugender Vampir – alles aus Pappmaché. Bei manchen Betrachter:innen wecken deine Installationen im Sinne des „Uncanny Valley“ vielleicht ein Gefühl von Unbehagen. Was interessiert dich an dem Konzept des „Unheimlichen“?
Agnes Scherer: Also betriebsbereite Guillotinen gibt es bei mir nicht – die sind nur auf Leinwand gemalt … Die Sujets, die ihr ansprecht, sind recht unterschiedlich gelagert. Ich greife jetzt einfach mal die Hochzeit heraus. Die ist von selber unheimlich. Was ich hier gemacht habe, ist vor allem, dass ich darauf verzichtet habe, das reguläre Arrangement durch irgendeinen Kunstgriff zu verfremden oder zu brechen. Ich habe einfach eine in Anführungszeichen ganz normale – das heißt in dem Fall auch: heteronormative – Hochzeit, völlig schematisch, in den Ausstellungsraum gebracht. Ich glaube, das entspricht zur Zeit weniger unseren Kunst-Sehgewohnheiten als die Brechung, und kann dadurch vielleicht sogar besser den Blick aufwecken für die Bizarrheit des Normalen. Es ‚entselbstverständlichen‘.
m53a: In vergangenen Ausstellungen (z.B. Woe and Awe, London 2024) hast du auch düstere Landschaften und apokalyptische Figuren, wie geflügelte Wesen und posaunende Engel gezeigt. Da drängen sich Begriffe wie „Weltgericht“ oder „Dystopie“ auf, gleichzeitig bearbeitest du Themen rund um Industrialisierung, Romantik, Museumsräume. Kann man das Geschehen, in dem man sich als Betrachter:in befindet, zeitlich in Zukunft oder Gegenwart verorten oder ist das hier irrelevant, weil es mehr um eine „Überzeitlichkeit“ geht?
Agnes Scherer: Kern der Ausstellung Woe and Awe war das performative Durchblättern und Zeigen eines großen Pop-Up-Buchs, aus dem sich dreidimensionale Szenarien ausklappen lassen. Wenn man genau hinschaut, ist es so, dass diese Szenarien Vergangenes und Gegenwärtiges kontrastieren. Es wird dargestellt, wie technische Erfindungen, die im Zusammenhang von Theater und Spektakel ihren Anfang nahmen, in kapitalistischen Verwertungszusammenhängen umfunktioniert wurden. Dabei funktionieren die Zeitsprünge nicht immer chronologisch.
Man sieht zunächst einen gestrandeten Wal, um den herum sich eine Art spontanes Volksfest formiert –– man kennt dieses Phänomen aus alten Genredarstellungen. Dann verwandelt das Szenario sich in eine Fabrik: Die Menschen haben angefangen, mit Walöl Lampen zu betreiben. Nachtschichten sind möglich geworden, die Arbeit hat kein Ende mehr, der industrielle Walfang beginnt.
Eine weitere Station des Aufklappbuchs zeigt eine schneebedeckte Bergkette, vor der ein Minivan erscheint. Er öffnet sich, das Innere des Autos ist vollgestopft mit Hausrat. Heraus tritt eine Disneyworkerin im Cinderellakostüm, die in ihrem Wagen lebt, weil sie sich keine Wohnung leisten kann.
Da macht der Minivan einem historischen Autorennen auf einem zugefrorenen See in Sankt Moritz Platz, vielleicht um 1920. Ein großes Publikum beobachtet das Schauspiel dieser Maschinen, von denen es anfänglich nur sehr wenige gab. Ein Auto kostete, umgerechnet in heutige Verhältnisse, Millionen.
Der Rennwagen wird weggeklappt, aus der Bergkulisse wird das künstlichen Matterhorn, im heutigen Disneyland Kalifornien, das Fahrgeschäft Matterhorn Bobsleds. Der gesamte Berg hat sich in ein Fahrzeug und Theater verwandelt.
Natürlich ist mir bewusst, dass die Relektüre der Technikgeschichte, die ich hier vorschlage, ein Kunstgriff ist – kein geschichtswissenschaftlicher, sondern eher ein poetischer Versuch. Trotzdem zeigt die Zuspitzung etwas Wahres auf. Ich versuche hier, mit Kunst etwas zu machen, das Dokumentation nicht leisten kann.
Und was sollen die geflügelten Wesen? Die verkörpern für mich eine wichtige Leerstelle, die ja ein zentraler Bestandteil moderner Verfasstheit ist. Die Frage nach dem Warum dieser Verhängnisse, die ins Leere läuft. Deswegen bleiben sie maskenhaft und uneinschätzbar. Eine präsente Abwesenheit also.
m53a: Wie gelingt es dir, bei einem formal theatral-figurativen Ansatz in deinem Schaffen über einfache Illustrationen hinauszugehen?
Agnes Scherer: Was sollte diesen Ansatz besonders illustrativ machen?! [lacht]
Literatur
[1] Cara New Daggett: Petromaskulinität. Fossile Energieträger und autoritäres Begehren. Übers. David Frühauf. Matthes & Seitz: Berlin, 2023 (Orig. 2018).
Agnes Scherer (*1985)
ist bildende Künstlerin und Professorin für Malerei am Mozarteum Salzburg. Ihre international ausgestellten Arbeiten verbinden Malerei, Skulptur und Performance zu komplexen, oft theatral inszenierten Bildräumen. Scherer nutzt figurative Darstellung und vermeintlich einfache Materialien, um Hierarchien, Repräsentationslogiken und Machtverhältnisse sichtbar zu machen. Ihre künstlerische Praxis versteht sich als Reflexion von Autorschaft, Materialität und künstlerischen Inszenierungspraktiken. Scherers Werke waren unter anderem in London, Zürich, New York und Köln zu sehen.


Das könnte dich ebenfalls interessieren

Vom Sichten und Finden: Stefanie Pirkers kuratorische Praxis am FOTOHOF
Juli 22, 2024
Galerie Sophia Vonier – ein neuer Standort zwischen Privatem und Öffentlichem
Oktober 5, 2024