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Museum ohne Raum. Identitätsverlust oder -gewinn?

15. Juli 2024
Leona Remler

Das Belvedere Salzburg eröffnet 2027. Bis dahin lagert das Salzburg Museum seine Ausstellungen als Gastspiel aus. Gedankengänge über Raumlösungen und Hinterfragen der eigenen institutionellen Identität

Hinter den Mauern der Neuen Residenz spielen sich seit Herbst 2023 zwei Bauprojekte ab, welche die vorzeitige Schließung des Standorts des Salzburg Museums erfordern: Das Land kümmert sich gerade um die Generalsanierung des Gebäudekomplexes und gleichzeitig baut das Museum seinen zweiten Innenhof aus, um Platz für das Kooperationsprojekt mit dem Wiener Belvedere zu schaffen. Und als wäre das nicht schon Arbeitslärm genug, überschneiden sie sich vermutlich mit den Bauprojekten für die Neugestaltung des Mozart- und Waagplatzes – Touri möchte man gerade nicht sein.

Doch wie macht das ein Museum eigentlich? So ganz ohne eigene Räumlichkeiten? Die Schließung der Museumstüren über die Länge mehrerer Wochen ist ja schon der persönliche Albtraum jeder Direktion, aber nun sollen es sogar mehr als drei Jahre werden? Eigentlich unvorstellbar. Aber so ganz weg vom Fenster ist das Salzburg Museum nicht, denn sie haben sich mit ihrem Gastspiel-Konzept bis 2026 in die Gebäude anderer Salzburger Institutionen eingemietet. In der Diskussion um die Raumthematik stellt sich früher oder später die Frage, inwieweit das Inventar des Salzburg Museums an das Gebäude der Neuen Residenz gebunden ist. Die Antwort ist simpel: Kaum. Wenn es nicht gerade Ausstellungen sind, die im direkten Austausch mit dem Standort stehen, wird es wohl keine Probleme geben – white cube bleibt white cube, oder?

Der weiße Raum

Brian O’Doherty beschreibt in einem Essay diese weiße Zelle als eine kritische Raumdisposition, die sich so streng an die etablierten Galerieraumgesetze halten müsse wie es damals schon für mittelalterliche Kirchen galt: „Die äußere Welt darf nicht hineingelassen werden, deswegen werden Fenster normalerweise verdunkelt. Die Wände sind weiß getüncht. Die Decke wird zur Lichtquelle. Der Fußboden bleibt entweder blank poliertes Holz, so dass man jeden Schritt hört, oder aber wird mit Teppichboden belegt, so dass man geräuschlos einhergeht und die Füße sich ausruhen, während die Augen an der Wand heften […].“ So ganz ist O’Doherty’s Raumideal heute nicht mehr die Allzwecklösung für Museen und Galerien – man kann mit dem white cube ganz bewusst brechen beziehungsweise sollte man das als Institution auch. Besonders regionale Museen wie das Salzburg Museum profitieren von einem Raum, der alles andere als isoliert ist, sondern einen konstruktiven Dialog mit den Besuchenden und der Region führt. Ob das der Gastspielreihe konsequent gelingt, gilt es abzuwarten.

Werfen wir doch einen Blick auf das Keltenmuseum Hallein: Mit VALIE EXPORT. herstory! bespielt das Salzburg Museum dort ab Juli einen thematisch merkwürdig erscheinenden Ort. Die Medien- und Performancekünstlerin hat so gar nichts Archäologisches an sich – ganz im Gegenteil. Und dennoch funktioniert es. EXPORT zeigt ihre Foto-Serie Nachstellungen aus den 70ern, die kunsthistorische Narrative hinterfragt: Durch die Beschäftigung mit den weiblichen Posen in der Malerei und die Loslösung der Figuren vom bildlichen Zusammenhang, entwickelt die Künstlerin Nachstellungen von kunsthistorischen Frauenfiguren, die sich als feministische Gegenentwürfe zur einseitig männlich geprägten Geschichtsschreibung präsentieren. Wissenschaftliche Disziplinen wie beispielsweise die im Keltenmuseum behandelte Archäologie sind von der Vorstellung einer rein männlichen Autorschaft geprägt – sei es im Kontext künstlerischer oder institutioneller Leistungen. EXPORT nimmt diese unreflektierte Geschichtserzählung zum Anlass, um die jahrhundertelange fehlende Selbstbestimmung der Frau zu hinterfragen und mit dem Finger auf Kunsthäuser wie das Keltenmuseum zu zeigen – die männliche Vormachtstellungen in der Kunst- und Kulturhistorie werden dort auch heute noch zu wenig hinterfragt.

Ein white cube ist es in EXPORTS Ausstellung nicht, denn die Wandmalereien in den fürsterzbischöflichen barocken Fürstenzimmern präsentieren Ortshistorie, die alles andere als minimalistisch, weiß und clean ist. Den Kurator:innen gelingt gerade deshalb die Verknüpfung des Ausstellungskontexts mit der Entscheidung, VALIE EXPORT zu zeigen.

Chance zur Vernetzung

Auch die Ende August startende Ausstellung Grafik im Fokus. Hradil, Steinhart, Wulz & Co im Museumspavillon der Stadtgalerie verspricht, ihren Gastspielort zentral zu behandeln. So werden verschiedene Grafiken gezeigt, die dort schon einmal zwischen 1952 und 1968 on display waren. Es scheint wie eine Chance, die Salzburger Institutionen enger miteinander verknüpfen und hoffentlich für zukünftige Gemeinschaftsprojekte sensibilisieren zu können. Wenn das Konzept aufgeht und die Kurator:innen des Salzburg Museums auch in den nächsten Jahren bedachte Verbindungen zwischen dem eigenen Bestand und den jeweiligen Schauplätzen ziehen, müssen die Räumlichkeiten der Neuen Residenz gar nicht so sehr vermisst werden.

Die kurzzeitige Obdachlosigkeit kann sich sogar als Strategie zur verfeinerten Findung der institutionellen Identität entpuppen und die Augen für bisher noch nicht bedachte Archivschätze öffnen; denn nun durchforsten die Ausstellungsmacher:innen im Hinblick auf die Verbindungssuche zu den Gastspiel-Räumlichkeiten intensiv den eigenen Bestand.

Identitätskrise

Das Projekt Belvedere Salzburg ist allemal ein taktisch kluger Schritt des Salzburg Museums hinsichtlich seines öffentlichkeitswirksamen Auftretens, um so der Stadt weiterhin Relevanz im nationalen, vielleicht auch internationalen Kulturdiskurs zu geben. Doch für welchen Preis – und zwar wortwörtlich? Die zu Projektbeginn berechneten 31 Millionen Euro sind es schon lange nicht mehr. Inzwischen sprechen sich Zahlen herum, die den Ausgangspreis um über 50 Prozent übersteigen sollen, behaupten zumindest die Salzburger Nachrichten. Wenn der Blick jedoch weg von den Kostenrechnungen gerichtet wird, lässt sich die Zukunftsvision einer gar nicht mal mehr so konservativen städtischen Museumslandschaft erahnen, in der eine Akteurin sich traut, neue Wege zu gehen. Dass die Wiener Zusammenarbeit nicht nur positives Feedback bei der gewünschten Zielgruppe hervorbringt, war erwartbar. Das Museum solle schließlich das machen, was es schon in den letzten Jahrzehnten gemacht habe – never change a running system, richtig?

„Richtig“, dachte sich eine Wortmeldung im Kasernengebäude der Initiative Architektur, die einen Vortrag im Rahmen des Symposiums zum Architekten Gerhard Garstenauer kommentierte. Die etwas ältere Frau sorgte sich um die Entwicklungen rund um das städtische Museum: Sie als Salzburgerin könne sich nicht mehr mit der Institution identifizieren, wenn die Wiener mit ihrem Belvedere die Neue Residenz infiltrieren würden – so der Wortsinn. Das Publikum reagierte daraufhin mit zustimmendem, wenn auch zögerlichem Applaus.

Da kann ich jedoch Entwarnung geben: Nur ein paar Schritte weiter, über den Domplatz hinüber, bewegt sich die Alte Residenz nicht vom Fleck. Sie steht so unversehrt unverändert da, wie wir sie kennen, und gibt durch ihre nur so von Stadtgeschichte durchtränkten Kunstobjekte jede Menge Anlässe für kleine und große identitätsstiftende Momente.

Zum Glück gibt es Fortschritt in der städtischen Kunst und Kultur. Fortschritt bedeutet nämlich nicht, die eigene Salzburger Identität zu verlieren, sondern sie zu erweitern. Sonst würden wir ja heute noch das Salzburg Museum am Franz-Josef-Kai finden und ihm den Namen Carolino-Augusteum geben.

Literatur

Brian O’Doherty, Die weiße Zelle und ihre Vorgänger, in: Wolfgang Kemp (Hg.), Inside the White Cube – In der weißen Zelle, Berlin 1996, S. 10.

Eröffnung 2027

Belvedere Salzburg
Salzburg Museum

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