Das Paradies ist von begrenzter Dauer
18. Juli 2025
Corina Laßhofer
Die Sonderausstellung „Paradise Lost“ im Dommuseum Salzburg aus konservatorischer Perspektive
Laut der biblischen Schöpfungserzählung währte das Paradies für den Menschen nur kurzzeitig, ehe mit dem Sündenfall der Verlust von Unschuld und Unsterblichkeit eintrat. In ähnlicher Weise verweisen auch historische Kunstwerke durch materielle Alterungsprozesse auf ihre damit einhergehende zeitliche Begrenzung. Durch die wertvolle Arbeit von Restaurator:innen kann dem immer und immer wieder mit Sorgfalt entgegengewirkt werden.
Das Dommuseum zeigt im Nordoratorium im Rahmen der diesjährigen Ausstellung Paradise Lost. Die Tapisserien des Salzburger Doms sechs rund 400 Jahre alte Tapisserien mit dem biblischen Narrativ der paradiesischen Schöpfung. Als verantwortliche Restauratorin erläutert Regina Knaller im Gespräch konservatorische Fragestellungen und rekonstruiert die im Herbst 2024 durchgeführten Maßnahmen.
Die Salzburger Tapisserieserie zeigt in ihren Bildfeldern auf narrative und lebendige Weise zentrale Szenen der Schöpfungserzählung. Trotz ihres Alters ist die facettenreiche Farbigkeit der Serie mit malerischen Farbübergängen bis heute sehr gut nachvollziehbar. Inhaltlich erstreckt sich die Narration von Adam, der die Tiere im Paradies benennt, der Erschaffung Evas und der Kundmachung des Verbots, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Ebenso zu sehen ist Adams und Evas Arbeit nach dem Sündenfall, dem Opfer von Kain und Abel, bis hin zum Brudermord und schließlich dem Zorn Gottes. Diese Wandbehänge aus Seide und Wolle stammen aus der Manufaktur des Jan Aerts (tätig 1614–35) im Brüssel des 17. Jahrhunderts. Die Vorlagen schuf der Mechelner Maler Michiel Coxcie (ca. 1499–1592) ursprünglich unter König Sigismund II. August für das Schloss Wawel in Krakau. Sechs Tapisserieserien, die auf dieser editio princeps beruhen, sind in ganz Europa noch erhalten. Über die Provenienz der Salzburger Serie ist nur wenig bekannt, dennoch lässt sich mit Sicherheit sagen, dass sie immer wieder als liturgischer Festschmuck im Dom gehängt war. Zuletzt wurde jene Tradition im Jahr 2012 bei einem Festspielkonzert mit Nikolaus Harnoncourt aufgegriffen. Abgesehen von ihrer dortigen Funktion zur Verbesserung der Raumakustik, kam es auch zuvor zur reinen Präsentation der Tapisserien in Salzburger Kunstausstellungen. Zum ersten und auch seither letzten Mal wurden die Bildwirkereien in vollständiger Serie im Salzburger Kunstverein 1888 präsentiert.
Mit Sprung in die Gegenwart erfahren diese in aufwändiger Handarbeit hergestellten Kunstwerke eine zeitgemäße Präsentation, und zwar in den Räumen, die direkt an ihren ursprünglichen Schauplatz – das Hauptschiff des Doms – anschließen. Eine völlig andere Rezeptionserfahrung erschließt sich jedoch heute. Statt erhöht und in den Dekor des großräumigen Mittelschiffs eingegliedert, begegnen sie den Betrachtenden nun in den viel gedrungeneren Räumen des Nordoratoriums auf Augenhöhe. Sie rücken ins Zentrum der Präsentation und entfalten ihre Wirkung nahezu wie von selbst.
Ein schmaler Gang leitet die Besuchenden in die Sonderausstellung und gibt zunächst nur den Blick auf einen Spiegel frei. Darin kündigt sich die erste Tapisserie bereits in Teilen selbst an, doch erst beim Eintreten über die Ecke entfaltet sie ihre volle Pracht. Die Ausstellung vermittelt in den Saaltexten den allgemeinen Kontext der Wandbehänge sowie thematische und ikonografische Erläuterungen. Erst im letzten Raum wird gegenüber der sechsten Wirkerei durch mehrere Visualisierungen auf das Herstellungsverfahren eingegangen – darunter ein Film der Koninklijken Manufactuur van Wandtapijten De Wit in Mechelen und Leihgaben des Kunsthistorischen Museums Wien. Dieser Blick nach außen überspringt jedoch die Konservierung der hiesigen Tapisserien – diese wurde nämlich in der leerstehenden Paramentenkammer des Salzburger Doms durchgeführt.
Regina Knaller wurde von September bis Dezember 2024 mit den Konservierungsmaßnahmen betraut. Sie beschreibt, dass im Rahmen der präventiven Konservierung etwa alle zwei bis drei Jahre eine Zustandsbegutachtung durchgeführt wird, allerdings eine genauere Analyse für die Ausstellung erforderlich war. „Fehlstellen, die durch Manipulation oder durch das Ausfallen von Wolle entstanden sind, mussten zuerst erfasst werden“, sagt Knaller. „Die größeren Löcher wurden dann optisch durch eine Nähkonservierung geschlossen, also von der Rückseite mit einem farblich passenden Stoff unterlegt und von der Vorderseite mit Nähstichen gesichert.“ All den bestandserhaltenden Konservierungsmaßnahmen ging eine umfangreiche Reinigung voraus.
Auf die Zustandserhaltungsmaßnahmen folgten Überlegungen einer fachgerechten Präsentation während der Ausstellung. Lange Zeit war es üblich, die Bildwirkereien gefaltet oder hängend aufzubewahren; dies würde allerdings den heutigen konservatorischen Anforderungen weit nicht mehr gerecht werden. Auch die Salzburger Tapisserien wurden jahrzehntelang hängend gelagert und präsentiert, ehe sie im Jahr 2012 auf Kartonrohre gerollt ins Depot des Dommuseums überführt wurden. Regina Knaller erklärt, dass entstandene Hängeschäden noch heute nachvollziehbar sind. „Das Gesamtgewicht der Tapisserie wurde dabei vom oberen Bereich getragen, was langfristig zu einer breiter werdenden Oberkante führte. Im Salzburger Fall sind das bis zu 16 Zentimeter Unterschied im Vergleich zur Unterkante.“
Für die Sonderausstellung wurde für alle Tapisserien eine Montagevorrichtung maßgerecht entworfen. „In der jetzigen Ausstellung hängt nichts mehr, alle Tapisserien liegen vollflächig auf. Daher sind sie nicht senkrecht, sondern oben etwas nach hinten geneigt. Auf einem Gerüst aus Holzstaffeln und Plexiglasfüßen ist ein Karton angebracht. Darauf wurde ein Gewebe gelegt, das einerseits eine Barriere zum Karton schafft, andererseits eine etwas rauere Oberfläche hat. Diese verhindert, dass die Tapisserie nach unten rutscht. Zusätzlich wurde an die Wirkerei oben ein heller Gewebestreifen und darauf ein fünf Zentimeter breites Klettband angenäht. Die harte Seite des Klettbands wurde an einer Holzleiste befestigt und verhindert so jegliches Verrutschen.“ Diese sorgfältig durchdachte Wahl der Montage macht sich durch seinen nahezu schwebenden Eindruck in der Betrachtung bezahlt. Es wird darüber hinaus auf die Senkrechte der ursprünglich hängenden Präsentation rekurriert und doch ist es nur eine Täuschung des ersten Blicks.
Ergänzend zur aktuellen Präsentationsform würde auch der Blick auf die Rückseite der Wandbehänge das Verständnis für die Werke erweitern. Ein Futterstoff aus hellem Leinen ist rückseitig an allen Tapisserien aufgenäht – dieser wurde im Zuge der Konservierung vorübergehend teilweise abgenommen. Mit fachlichen Vorkenntnissen gibt die freigelegte Rückansicht Aufschlüsse über Herstellungsart, vorherige Konservierungsbestrebungen oder ehemalige Montagevorrichtungen. Aber auch für das ungeschulte Auge lohnt es sich allemal: Das scheinbare ‚Wirrwarr‘ an Fäden führt noch einmal den Arbeitsaufwand, der in solch ein Werk floss vor Augen und zeigt somit nicht zuletzt auch die konservatorischen Herausforderungen für die Textilrestaurierung. Gleichermaßen lässt die dort noch erhaltene, ursprünglich wesentlich saturiertere Farbigkeit, ein Stück mehr die historische Wirkung auf die Betrachtenden rekonstruieren. Der Blick in den Ausstellungskatalog kann hierzu die Neugier etwas stillen und ist ebenso wie der Besuch der Sonderausstellung selbst sehr zu empfehlen.
Noch bis 13. Oktober
Paradise Lost. Die Tapisserien des Salzburger Doms
Nordoratorium, DomQuartier Salzburg


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