Plötzlich Materie. Rose English im Museum der Moderne
21. April 2025
Uwe Neuhold
Die ephemeren Performances von Rose English treffen auf knall- und schallharte Museumsräume am Mönchsberg. Was geschieht, wenn eine flüchtige Kunstform in die physische Dauerhaftigkeit eines Museumsraums transferiert wird?
Die 1950 in Hereford (Großbritannien) geborene Rose English entwickelte schon als Kunststudentin Ideen zu einem interdisziplinären Konzept, das die Geschichte des Balletts und der Pferdedressur ebenso verband wie die Ausdrucksmöglichkeiten von Tanz, Theater, Oper, gar Zirkus und die im anglofonen Sprachraum besonders elaborierte Form der Comedy. Mit der Zeit entwickelte sie eine intermediale und stets poetische Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Feminismus, die weit über die Konzeptkunst der 1970er-Jahre hinaus ging. Mochten andere Künstler:innen Gemälde, Grafiken oder Multiples an Galeriewände hängen – Rose English bevorzugte das einmalige Event, das, von einer mentalen Veränderung des Publikums abgesehen, kaum Spuren hinterlässt.
Englishs Präsentationsorte waren und sind dem öffentlichen Raum eingeschrieben: Wohnhäuser als Filmsets, leere Eislaufhallen und Schwimmbäder als Theater, Wiesen und Sportplätze als Aufführungsfeld. Ihre Werkzeuge: nicht Pinsel oder Druckerpresse, sondern Notizblock und Schreibmaschine (zum Verfassen von Ablaufscripts und Regieanweisungen). Kostüme, Kosmetik, Accessoires – und natürlich Videokamera und Fotoapparat.
Wie gestalteten also die Kuratorinnen Marijana Schneider und Lisa Moravec mit solcherlei Artefakten und Medien die Ausstellung Plötzlich in Pracht beginnen in einem Museum, dessen weitläufige Räume und dramatisch hohen Wände einst vorrangig zur Präsentation von Skulpturen und Bildwerken gedacht waren?
Räume werden zu Melodie
Als Erstes machten sie etwas sehr Richtiges und Notwendiges: Sie dekonstruierten die Architektur. Bestand diese vor ihrem Eingriff noch aus viel leerem Raum und langen Fluchten, so erzeugen insgesamt sieben Zwischenwände kleinere, überschaubarere, ja ‚menschlichere‘ Teilräume. Der Grundriss offenbart, wie die Arbeit der Choreografin innenarchitektonisch in Rhythmen und Proportionen übersetzt wurde: Auf die Ouvertüre eines annähernd quadratischen Eröffnungsraums folgt eine schmale ‚Kammer‘, dann eine offene Fläche von gleicher Länge wie der erste Abschnitt. Anschließend wieder eine Kammer, etwas größer als die vorherige, dennoch von intimer Ausstrahlung. Es folgt erneut ein langer Raum, mündend in den baulich vorgegebenen Flur zum zweiten, dunkleren Bereich der Ausstellung. Hier ist der Bauquader mithilfe abgehängter Stoffbahnen in drei allmählich länger werdende ‚Theatersäle‘ gegliedert, in denen große Videoprojektionen zu betrachten sind. Es ergibt sich also mit der Aneinanderreihung der Abschnitte anfangs eine wechselnde Tonfolge im Modus lang-kurz-lang-kurz-lang, dann die ‚Transposition‘ in den zweiten Teil, gefolgt vom „da – daa – daaa“ eines ausgedehnten Schlussakkords.
Wir werden hierbei ohne unser bewusstes Zutun – nur durch Begehen dieser räumlichen Melodie – zum Teil eines immersiven Erlebnisses. Eines Happenings, wie Rose English sie im Lauf der Jahrzehnte immer wieder aufführte. Nacheinander erleben wir – durch kurze ‚Intermissionen‘ unterbrochen – die drei Akte einer Aufführung.
Drei Akte, sieben Gefühle
In der ‚Ouvertüre‘ (um bei der musikalischen Metapher zu bleiben) arbeitet sie mit dem in der Ausstellungsdramaturgie gerne eingesetzten Gefühl der „Glory“ – der Erhabenheit: Auf einem raumgreifenden Podest sind zwei eindrucksvolle Kostüme (nebst Kleinmöbeln) aus ihren Performances wie in einem Theatermuseum präsentiert. Da das Podest auf Abstandhaltern einige Zentimeter über dem Boden schwebt, wirken die gezeigten Exponate intuitiv ‚erhaben‘ und somit wertvoll, einzigartig, begehrenswert. Ein überdimensioniertes Set-Foto lässt alles noch größer erscheinen – und macht uns gleichzeitig kleiner. Auf derartige Größe reduziert betreten wir also eine andere Welt, die uns Staunen und Bewunderung abverlangt. Dass die an der zweiten Wand gezeigte Videoprojektion relativ klein und ohne theatralische Kraft geraten ist, stört diese Empfindungen. Positiv fällt jedoch die durchgängige Verwendung eng abstrahlender Richtlautsprecher auf, was akustische Störungen trotz schallreflektierender Räume vermeidet und Konzentration ermöglicht.
In der ersten ‚Intermission‘ wurden auf den zwei quer zum langen Saal stehenden Trennwänden gerahmte Set-Fotos der Performance Berlin, 1976 montiert. Durch die schmale Fläche zwischen den Raumteilern entsteht der Eindruck beengten Wohnraums (den Aufführungsorten entsprechend), wodurch man sich dem Dargebotenen unmittelbar ausgesetzt sieht. Dies wiederum bewirkt ein ausstellungspsychologisches Gefühl von „Intensity“, dem starken Eindringen des Gesehenen ins innere Erleben.
Der nachfolgende erste Akt kombiniert einen Vierklang aus Porzellanballerinen (auf sehr persönliche, lebendige Weise an der Wand verteilt), barock anmutenden Collagen, einer Fotoserie und – wieder auf einem erhabenen Podest – zahlreiche Pferdefiguren zwischen ästhetischen Porträts von Debütantinnen auf Zeitschriftencovers. In der Gesamtwirkung entstehen Gefühle von „Joy“ und „Desire“, unterstützt von einer ausgeklügelten Beleuchtungstechnik, die mittels Framer Spots die rechteckigen Flächen von Skizzen und Fotos wie hinterleuchtet erscheinen lässt.
In der nächsten ‚Intermission‘ begegnen wir Bildern und Aufnahmen der Performances Quadrille und Pegasus sowie einer bemerkenswerten Mischung aus dressurtänzelnden Frau-Pferd-Wesen, die Fragen nach beider Rollen in einer männlich geprägten Gesellschaft aufwerfen. Dies lässt sowohl durch Sujet als auch Inhalt ein ambivalentes Empfinden zwischen „Bravour“ und „Chill“ entstehen, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Ein Pferd als Leitfigur
Der zweite Akt präsentiert uns das leitmotivische Pferd, hier in seiner Interaktion mit Rose English als talentierter Schauspielerin und Bühnenperformerin. Unter dem Projekttitel My Mathematics betreten wir ein Konglomerat aus Zirkus, Improtheater und Comedy. Bestehend aus großformatiger Wandprojektion, Fotografien sowie in einer Tischvitrine gezeigten Requisiten (Kosmetikartikel und überlange Eyelashes). Nicht zufällig erzeugen vor allem die Aufnahmen des Pferds das siebte in Ausstellungen wichtige Gefühl, nämlich „Power“. Sowohl die medientechnische Ausstattung wie auch die Präsentation der Exponate – teils auf schmalen Metallstielen wertig in die Höhe gehoben – sind „state of the art“.
Durften wir bisher eine vielfältige Mischung aus Objekten, Medien und Installationen genießen, entführt uns der lange, schmale Museumsgang nun in den dritten und letzten Akt: ‚Trilogy‘. Diese von Rose English speziell für das MdM gestaltete Szenografie stellt mit ihren durch Stoffbahnen getrennten Teilräumen den effektvollen Höhepunkt der Ausstellung dar. In der mit einfachsten Mitteln einem Varieté nachempfundenen Atmosphäre werden drei in den 1980er-Jahren von der Künstlerin auf Londoner Theaterbühnen durchgeführte Performances im Kinoformat projiziert und um Bühnenexponate und Arbeitsnotizen ergänzt. Glory, Joy, Power, Bravour, Desire, Intensity und Chill – alle für den Erfolg von Ausstellungen und Events wichtigen Gefühle sind hier vereint. Dass die erstmals in solcher Einheit erfassten Performances in Reallänge betrachtet werden können, ermöglicht ein tiefes Eindringen in die Welt von Rose English und bietet ausreichend Stoff für einen halbtägigen Museumsbesuch.
Fazit: Künstlerin und Museumsteam ist es hier – angesichts sicherlich beschränkter Finanzmittel – auf vorbildliche Weise gelungen, das einzigartige zeitlich-räumliche Erlebnis einer Live-Performance in den unbewegten (Ausstellungs-)Raum zu übertragen. Näher wird man einer Reise zu jenen längst vergangenen Momenten kaum kommen.
05. Juli 2024 bis 04. Mai 2025
Plötzlich in Pracht beginnen. ROSE ENGLISH: Performance, Präsenz, Spektakel
Museum der Moderne | Mönchsberg
Kuratiert von Marijana Schneider und Lisa Moravec


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