Zwischen Himmel und Leerstelle – „Vögel“ im Museumspavillon Salzburg
10. Oktober 2025
Marion Sauer
Ein Haus, das einst den Flügelschlag des Fremden beherbergte, klingt nun anders: leiser, nachdenklicher, reduziert auf ein Echo. Die aktuelle Ausstellung „Vögel“ von Bele Marx & Gilles Mussard in der Stadtgalerie verwandelt das ehemalige Vogelhaus im Mirabellgarten in einen konzeptuellen Resonanzraum von Kunst, Erinnerung und Abwesenheit
Der Pavillon, um 1700 vermutlich von Johann Bernhard Fischer von Erlach entworfen, diente ursprünglich der Haltung exotisch empfundener Vogelarten – ein Zeichen der barocken Sammelleidenschaft und ein Symbol des fürsterzbischöflichen Weltbezugs in Salzburg. Heute ist der Pavillon selbst ein Relikt: ein Raum, der seine ursprünglichen Bewohner:innen verloren hat. Genau an diesem Punkt setzt die Ausstellung an. Was bleibt, wenn das Vogelgezwitscher verstummt und das Flattern von Flügelschlägen nur noch ein Echo der Vergangenheit ist?
Von Nestern und Netzwerken
Das Vogelgezwitscher aus der Voliere der Pavillonkuppel fügt sich so nahtlos in das Ambiente des Gartens, dass es sich erst direkt am Eingang des Gebäudes als Toninstallation zu erkennen gibt. Doch schon davor kündigt ein überdimensionales Nest (2022–2024) aus silber- und goldfarbenen Drahtkleiderbügeln im Rasen den Grundton der Ausstellung an. Es ist Teil der Werkserie aufhänger, die Marx & Mussard seit Jahren weiterentwickeln und mit sogenannten Drillparties zu einem partizipativen Kunstprojekt machen. Passant:innen und alle, die mitmachen möchten, sind eingeladen, kleinere Nester mit Drillgeräten zu verhäkeln. Was hier entsteht ist eine Zeichnung aus etwa 12.000 Kleiderbügeln, deren Schatten an den Wänden des Pavillons filigrane Liniennetze bilden. Wie Krähen, die Metallstücke statt Äste zum Nestbau verwenden, verwebt das Künstlerpaar Alltagsmaterialien zu fragilen Architekturen. Diese Fragilität wird zum Ergebnis der künstlerischen Geste, zu einem zeitgenössischen Vanitas-Symbol. In Salzburg fügen sich diese „Drahtgeflechte“ in die Geschichte des Orts – ein Vogelhaus, in dessen Nestern kein Leben mehr raschelt.
Räume der Abwesenheit
Im Innenbereich erwartet die Besuchenden dennoch kein ornithologisches Schaudepot, sondern ein Gefüge aus Zeichnungen, Tönen und Gegenständen, das, wenn ihm genügend Ruhe und Raum gelassen wird, nachdenklich stimmen kann. Im ersten Raum hängen großformatige Kohlezeichnungen auf handgeschöpftem Papier – schemenhafte Umrisse, Federn, Flügelansätze, Spuren einer Bewegung, die längst Vergangenes abbilden. Den zweiten Raum durchzieht eine Toninstallation. Vogelgeflatter schwillt in Wellen an und bricht wieder ab. Dazu schwebt eine einzelne Feder etwa einen Meter über dem Boden vor dem großen Fenster, das den Blick in den Mirabellgarten freigibt. Wie ein Relikt erinnert die Feder an den ursprünglichen Zweck dieser Räume. Die Vögel bauen draußen in den Baumkronen noch immer ihre Nester, während im Inneren des Pavillons nun ein einfacher weißer Klappsessel aus Holz steht, inmitten von 20.000 weißen Plastikeiern. Obwohl Besucher:innen angehalten sind, Filzpantoffel über ihre Schuhe zu ziehen, bevor sie den Raum betreten, sind einige der Eier zerbrochen, zerquetscht oder haben Dellen. Anstatt der Ausstellung hinderlich zu sein, verstärken diese Makel nur das stille Sinnbild des Zarten und Zerbrochenen.
Ein Nest auf Zeit
Ebenso zerbrechlich ist das ökologische Gleichgewicht, zu dessen Sinnbild die Vögel hier werden. In dem Begleittext von Robert Lindner (Haus der Natur) wird der Bogen weit gespannt: Von prähistorischen Vogelzeichnungen in der spanischen Höhle Tajo de las Figuras über Rachel Carsons Silent Spring (1962), bis hin zu aktuellen Berichten über den globalen Rückgang der Vogelpopulationen und Krähen, die in Kriegsgebieten aus Fiberglasfäden ihre Nester bauen, zeichnet sich die Transformation unseres Ökosystems ab.
Marx & Mussard verwandeln den Museumspavillon in ein „Nest auf Zeit“ – und unterstreichen den Pavillon als Ort, an dem Kunst, Natur und Geschichte ineinandergreifen. Wer die Ausstellung besuchen möchte, sollte auf einen ruhigen Moment hoffen, um die Räume kurz allein durchwandern zu können. Denn die Arbeiten des Künstlerpaars erzählen nicht von den ehemaligen Bewohnenden des Vogelhauses, sondern von ihrem Verschwinden; nicht vom Fliegen, sondern von seinem Verstummen. Dieses metaphorische Verstummen der Vögel braucht – wie die gesamte Ausstellung selbst – Ruhe, um richtig zu wirken. Gerade dann entsteht eine unerwartete Leichtigkeit, die Ahnung, dass jedes Schweigen auch einen Raum öffnet, in dem sich neben der Erinnerung die Hoffnung auf ein neues Flügelschlagen regt.
bis 12. Oktober 2025
Vögel
Bele Marx & Gilles Mussard
Stadtgalerie Museumspavillon
Montag bis Freitag | 14 bis 18 Uhr
Samstag und Sonntag | 11 bis 15 Uhr

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